Die Freiheitsstatue – mein erster Blick auf Chatia. Wir begegneten uns auf einer rauschenden Party, um die 100-jährige Präsenz von Miss Liberty in der Empire City zu feiern. Chatia trug eine Version von deren grüner Krone auf dem Kopf. Sie selbst hatte damals schon Einiges in der Stadt der Städte erlebt.

Die gebürtige Hamburgerin war 1973 zunächst nach London gezogen, um dort an der Rambert School of Ballet klassischen und modernen Tanz zu studieren; zwei Jahre später ging sie nach New York, mit einem Stipendium des Alvin Ailey American Dance Center. Sie trainierte bei Martha Graham und Merce Cunningham und trat der Michael Sullivan Dance Company bei.

Chatias Persönlichkeit, ihr Auftreten und Wirken, das war und bleibt ein Gesamtkunstwerk.

Chatias Persönlichkeit, ihr Auftreten und Wirken, das war und bleibt ein Gesamtkunstwerk. Ob sie als Model über die internationalen Laufstege wirbelte oder mit coolen Gruppen wie ‚the pack‘ die damals angesagtesten Clubs wie Peppermint Lounge, Mudd Club, CBGB’s oder Palladium als Performance-Künstlerin aufmischte – immer streute sie eine großzügige Portion ihrer ganz eigenen Magie über alles. Als ‚Robot Mannequin‘ im Nobelkaufhaus Saks Fifth Avenue wie als Amazone bei Kultveranstaltungen wie Andy Warhols Event für sein Magazin ‚Interview‘ im legendären Studio 54. Als Gast in amerikanischen und deutschen Fernsehsendungen, als Darstellerin in Videoarbeiten wie ‚Laurie Anderson‘, ‚I am Siam‘ oder ‚Toshiba‘.

Den Bodensatz dieser vielfältigen Ausdrucksformen bildete bald die Malerei. Chatias erste Serie ‚Matters of Love‘ verband Bilder in Acryl und Öl mit dreidimensionalen Objekten. Später kamen die Zyklen ‚Sky‘ und ‚Accidental Art‘. Zufälle, heißt es, existieren nicht, folgerichtig kam auch die erste Ausstellung 1989 in der New Yorker Galerie The Emerging Collector. Kurz darauf, im Sommer 1990, heiratete Chatia den Künstler Peter Bradtke. Wiederum in Ein-Jahresabständen wurden Tochter Paloma und Sohn Marlon geboren.

Ein Kreis um die ‚Matters of Love‘ hatte sich geschlossen, um wie die Bilder in dieser Serie, ‚Flooded Memories‘, in andere überzufließen.

Ein Kreis um die ‚Matters of Love‘ hatte sich geschlossen, um wie die Bilder in dieser Serie, ‚Flooded Memories‘, in andere überzufließen. Fragmente, die wie ein genetischer Code auf dieses ganz eigene und kein anderes Leben zusteuern. Chatia setzte nun mit der von ihr gegründeten ‚Wooster Dance Group‘ die Kleinen in SoHo in Bewegung, physisch, emotional, intellektuell.

Die Kindheit auszuleuchten kommt einem Blick in die Ewigkeit am Nächsten, so (oder so ähnlich, ich zitiere aus dem Gedächtnis) begann der große Literat Vladimir Navokov seine Autobiografie ‚Sprich, Erinnerung, sprich!‘. Die Art – durchaus im deutschen wie im englischen Wortsinn – wie Chatia und Peter ihre Kinder großzogen, war ebenfalls Kunst. Und Lebenskunst. Dazu gehörte auch 1996 der Umzug nach Deutschland, wo die Familie ja auf beiden Seiten verwurzelt war. Wo, wenn nicht in Berlin, konnten New Yorker Kids frei aufwachsen? Wieder ein Kreis, der sich schließt und andere überlappt. Und Chatia tanzt.

Am Schauspielhaus Hamburg beispielsweise in ‚Zeit‘ (2009, oder in ‚Bridge‘ bei Alida Gundlachs Buchpräsentationen in Hamburg und im Berliner Schlosspark Theater (2010). Im selben Jahr präsentierte sie in Sigrid Rothes Ausstellung in der Hamburger G3-Galerie ihr ‚Mandala-Painting‘. Sachte schlägt in meinem Unterbewusstsein John Lennons ‚Imagine‘ an, zunehmend stärker schwappt sie hoch, die Erinnerung, wie an einem grauen Dezembersonntag Chatia und Peter und unzählige Freunde und Bekannte unter Millionen von Menschen auf diese eine Stelle im Central Park zuströmten, die seither ‚Strawberry Fields‘ heißt. Um Blumen abzulegen an dem Platz, den später eine Erinnerungsplakette schmücken sollte, in Form einer Mandala, was sonst?  Beim Memorial für den ermordeten Künstler rotierten die Hubschrauber der Nachrichtensender (oder der Regierung?) wie eine Heuschreckenplage über der ansonsten  wie erstarrt scheinenden Megalopolis. A moment, frozen in time.  Befreiend das Gequengel ungeduldiger Kinder und das vielfache  „Shshsh“ ihrer Eltern, als  die ersten Takte von ‚Imagine‘ ertönten und ozeanische Tränenfluten auslösten.  Andere Erinnerungsfetzen kommen an die Oberfläche, an  Freudentränen und  Hunderte weißer Luftballons, die im Sommer 1990 in den blitzblauen Himmel über der Lüneburger Heide aufstiegen, bei Chatias und Peters Hochzeit. Und wiederum die Klänge von ‚Imagine‘, die  über das weite Land wehten..  Ein Kreislauf, wie der Zyklus der ‚Flooded Memories‘, der weitere Kreise ziehen, in wieder etwas anderes übergehen wird.

Jede Wahrnehmung wird ja, in dem Moment, in dem sie geschieht, zugleich zur Erinnerung. Und damit zu etwas Anderem, Neuem. Der Blick  zurück fasziniert und trägt den Hauch von Unendlichkeit in sich, weil er uns andocken lässt an etwas, das damals bruchstückhafte Gegenwart und gerade mal erahnbare Zukunft war, heute aber Vergangenheit ist. Die sich damit immer wieder  wandelt und neu erschafft.

Ein Text von Friederike Albat (MADAME Magazine)